Meeting "Künstliche Intelligenz" mit der Adidas AG
adidas – ein Traditionsunternehmen geht neue Wege
Der Sportartikelhersteller adidas steht auf Platz zehn der weltweit innovativsten Unternehmen und schließt damit zu den Digitalriesen Google, Apple, Amazon und Microsoft auf. Die hohe Platzierung ist kein Zufall, denn das Unternehmen investiert in hohem Maße in Forschung und Entwicklung. Dafür wurde eine eigene Abteilung namens „Future“ gegründet, zu der 120 Materialwissenschaftler, Mathematiker und Zukunftsstrategen zählen, die in einem Dutzend Labore mit künstlicher Intelligenz die Maschinenauslastung von Fabriken simulieren, in Reagenzgläsern neues Gummi testen, Mannequins in Hightech- Nylon schwitzen lassen. Ein Roboter schießt Fußbälle mit 200 Stundenkilometern quer durch eine unterirdische Halle. Mit dabei Dr. Holger Kömm. Im ersten Meeting des Jahres war der Senior Director Advanced Analytics zu Gast im Industrieverein und brachte mit seinem Vortrag über künstliche Intelligenz (KI) Interessantes und Aufschlussreiches zu diesem Thema mit. Die Forschungsschwerpunkte des promovierten Wirtschaftsmathematikers sind Zeitreihenökonometrie, Volatilitätsmodelle und KI-basierte Prognose. Neben dem forschungsorientierten Blick verfügt Dr. Kömm zudem über umfassende praktische Anwendungserfahrung. Als er sich 2014 bei adidas bewarb, war KI in der Industrie nichts anderes als ein Hobby, so Kömm. Zwar wurden Daten gesammelt, aber eine automatisierte, rein datenbasierende Entscheidungsfindung sei damals noch Neuland gewesen. Dabei sei künstliche Intelligenz kein neues Thema, denn die Statistik beschäftige sich schon seit mehr als 60 Jahren damit. Letztlich waren die Entwicklungen in der Informatik und der digitalen Transformation die Faktoren, die der KI in den 2010er Jahren den Durchbruch ermöglichten, so Kömm.
Doch wie funktioniert eine erfolgreiche künstliche Intelligenz und was ist dazu notwendig?
Dr. Kömm sieht das Erkennen und erstehen des Businessproblems als erste notwendige Voraussetzung zur Schaffung Künstlicher Intelligenz. „Wenn man mit Big Data etwas anfangen möchte, muss man wissen wohin die Reise geht“, so Kömm und bringt den Vergleich mit den Bäumen und dem Wald, den es zu roden gilt, um klare Sicht auf die Dinge zu bekommen. Dabei bezieht er sich auf den Physiker Richard Feynman, der sinngemäß die Meinung vertrat, dass, wenn man etwas schaffen möchte, man zuerst damit anfangen müsse, das Problem vollends zu verstehen. Wenn ein Unternehmen also ein KI-System aufbauen möchte, müsse es sich zuerst damit beschäftigen, welches Problem mit der KI eigentlich gelöst werden solle. Schließlich könne eine Maschine erst dann programmiert werden, wenn das Businessproblem verstanden und in Prozesse übersetzt wurde. Von einer erfolgreichen KI kann man laut Dr. Kömm dann sprechen, wenn die Maschine das Problem lösen kann und der „Faktor Mensch, weitestgehend, im Idealfall komplett, rausgenommen wurde“.
Für Dr. Kömm ist KI letztendlich ein Thema der Optimierung, genutzt, um ein bestehendes Geschäftsmodell optimal zu kalibrieren. „Die KI ist nicht dazu da, wie von Data Science oft erwartet wird, die Geschäftsmodelle von morgen zu entwickeln“, so Dr. Kömm, sondern „mittels Daten, bestehende Prozesse bezüglich der notwendigen Zeit bis zur Problemlösung zu optimieren und dabei signifikant zu reduzieren.“ Die künstliche Intelligenz sei demnach vor allem deshalb dem Menschen überlegen, weil sie bestehende Probleme im Vergleich in kürzest denkbarer Zeit lösen könne. Schlussendlich nutzte Dr. Kömm eine Definition der Intelligenz aus der Soziologie, die darauf aufbaut, dass Intelligenz im Wesentlichen in vier Bereiche eingeteilt werden kann. Dabei handelt es sich um den kognitiven (Spiele spielen, Probleme lösen), sensomotorischen (Bewegung), emotionalen (Liebe) und sozialen Bereich (Teamfähigkeit).
Künstliche Intelligenz bewege sich in dieser Definition allein im Bereich der kognitiven Intelligenz. Für adidas jedoch sei die Emotion der Bereich, in dem sich die Marke von ihren Wettbewerbern unterscheide, und in dem sie erfolgreich sei. Denn die Fans der Marke identifizieren sich, laut Kömm, mit dieser und sind in die Marke adidas verliebt. Gleiches gelte zum Beispiel für Apple. Dr. Kömm würde somit gar nicht erst versuchen eine KI zu entwickeln, die die nächste Werbekampagne definiert. Das ist und bleibt bis auf Weiteres die Domäne des Menschen.
Natürlich ist auch bei adidas künstliche Intelligenz Bestandteil des Arbeitsalltages, so Kömm. Im Prinzip könne nahezu alles, was im und mit Excel passiere durch eine KI ersetzt werden, und „die Menschen haben dadurch wieder Zeit sich mit den Dingen zu beschäftigen, die wirklich werttreibend sind“. Das Bauen einer künstlichen Intelligenz, die die Excel-Tabellen-Suche ersetzt, ist seiner Meinung nach nicht die eigentliche Herausforderung.
„Es wächst eine Angst in der Gesellschaft, dass KI mir eines Tages den Job wegnimmt“. Diese Angstprophezeiungen hält Holger Kömm aber für unbegründet und populistisch, denn jeder industrielle Fortschritt hat zwar spezifische Jobs geopfert, jedoch im gleichen Umfang und meistens mehr neue Jobs geschaffen.
„Momentan setzen sich Anwendungen künstlicher Intelligenz‘ in all unseren Lebensbereichen durch und wir werden uns zunehmend auf diese unsichtbaren Systeme verlassen“, sagte Kömm abschließend. „Dadurch gehen wir jedoch auch den Schritt von einer kausalen zu einer korrelativen Entscheidungsfindung.
Dabei müssen wir uns bewusst sein, dass heutige KI-Anwendungen noch Fehler machen und im schlechtesten Fall sogar manipuliert werden können. Somit liegt eine zentrale Herausforderung an Wirtschaft und Politik für die kommenden Jahre darin, ein gesellschaftlich stabiles Wertesystem zu erschaffen, das uns hilft auch bei kleinsten Fehlentscheidungen den richtigen Kurs beizubehalten.“
Ort: Hotel Chemnitzer Hof, Theaterplatz 4, 09111 Chemnitz