Fachkräftemeeting des Industrievereins Sachsen
Ohne Zuwanderung geht es nicht
Kaum eine Branche beklagt ihn nicht: den Fachkräftemangel. Auch der Industrieverein Sachsen 1828 hat das Problem längst erkannt und bringt Unternehmer und Initiativen zusammen, wie zuletzt beim Fachkräftemeeting in Chemnitz.
Handwerk, Pflege, öffentliche Verwaltung, Industrie – sie alle leiden unter dem gleichen Problem - zu wenig Personal. Was bedeutet das kurzfristig für betroffene Unternehmen und was langfristig für den Wirtschaftsstandort Deutschland? Und wie können neue Fachkräfte rekrutiert werden? Um darüber ins Gespräch zu kommen, hat der Industrieverein Sachsen 1828 zum Fachkräftemeeting in die Firma Sachsen Guss GmbH eingeladen. „Wir freuen uns, Gastgeber dieser Initiative zu sein“, sagte der Personalchef der Gießerei, Dr. Guntram Schönherr. Er berichtete unter anderem, wie sein Unternehmen dem Fachkräftemangel begegnet: durch eigene Ausbildung in verschiedenen Berufen. Allein in diesem Jahr hat das Unternehmen 65 Lehrlinge eingestellt. Sie alle werden nach Tarif bezahlt. Zudem sind sechs Prozent der 750 Mitarbeiter Ausländer. Das sei, so sagte Schönherr, ein höherer Anteil als in Chemnitz.
Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig betonte in ihrem Grußwort, ohne Zuwanderung werde es nicht gehen, den Lebensstandard zu halten. Ein Beispiel sei die medizinische Versorgung, ein Drittel der hiesigen Ärzte sei nicht hier geboren. Derzeit gebe es in Chemnitz 4,6 Prozent ausländische Beschäftigte, der Ausländeranteil sei doppelt so hoch. Die meisten der ausländischen Erwachsenen seien in einem Alter, in dem sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könnten. „Ich finde es deshalb gut, dass sich der Industrieverein immer wieder dem Thema widmet“, so Ludwig. Aber: „Wir brauchen ein Klima, in dem sich die Menschen wohlfühlen. Die Menschen, die hierherkommen, spüren, ob sie willkommen oder nur geduldet sind.“ Auch die Stadt wolle ihren Beitrag leisten, und befürwortet, dass alle Kinder von Zugewanderten – sofern deren Eltern das wollen - so früh wie möglich in den Kindergarten gehen, um die Sprache zu lernen. Derzeit würden in Chemnitz elf Kitas gebaut, sagte die Oberbürgermeisterin.
Dass der Fachkräftemangel branchenübergreifend spürbar und inzwischen ein ernsthaftes Problem für Unternehmen der Region ist, schätzt Michaela Wolf vom Bildungszentrum Chemnitz ein. Das Bildungszentrum gehört zum Bildungswerk der sächsischen Wirtschaft, Wolf hilft Migranten bei der Jochsuche. Im Rahmen eines Pilotprojektes, dass eine Einschubfinanzierung der Initiative Chemnitz ist weder grau noch braun bekommen hat, kooperiert das Bildungszentrum mit Sprachschulen und organisiert Praktika, im Idealfall gelingt ihnen auf diesem Weg der dauerhafte Eintritt in den sächsischen Arbeitsmarkt. Im März 2019 habe sie mit ihrem Modellprojekt „Integration von Geflüchteten“ begonnen und seither mit 40 Bewerbern gesprochen. Sie kommen aus Syrien, Iran, Irak und aus Libyen. Mehr als die Hälfte der Interessenten sei in das Förderprogramm aufgenommen worden, sie hätten ihre Fähigkeiten etwa bei Probearbeiten in Werkstätten testen können. 11 Zuwanderer konnten in feste Beschäftigungen etwa in der Gastronomie vermittelt werden. Ergebnis seien zum einen auch „Modulorientierte Maßnahmen“, zum anderen Umschulungen mit IHK-Abschluss. „Das muss man als Ausländer erstmal hinbekommen, das ist eine Leistung“, sagte Wolf beim Fachkräfte-Meeting. Gleichzeitig sei es nicht immer einfach, ausländische Mitarbeiter in bestehende Teams zu integrieren. Dennoch: „Was wir brauchen, ist der Zugang zu den Betrieben“, so Wolf. Um mit Unternehmern in Kontakt zu kommen, sei der Industrieverein hilfreich und für sie „ein Lottogewinn“.
Der Präsident des Industrievereins, Prof. Dr. Udo Bechtloff, verwies in seiner Rede auf eine bereits vor vielen Jahren durchgeführte Umfrage unter Unternehmen mit zehn bis 15 Mitarbeitern. Sie seien seinerzeit gefragt worden, was sie daran hindere, Ausländer einzustellen. Die häufigste Antwort sei gewesen: „Wir haben keine Zeit, uns darum zu kümmern.“ Zeit kann auch der Industrieverein nicht beschaffen, aber Geld zur Verfügung stellen. „Wir geben gemeinsam mit dem Verein Kreatives Chemnitz noch einmal 10.000 Euro an das Bildungswerk der sächsischen Wirtschaft und unterstützen damit weiterhin dieses Projekt zur beruflichen Integration von Migranten“, kündigte Bechtloff an. Bereits im Februar hatte das Modellprojekt 15.000 Euro aus dem Fördertopf der Initiative „Chemnitz ist weder grau noch braun“ erhalten. Die Initiative, die vom Industrieverein und vom Verein Kreatives Chemnitz getragen wird, ist Ende November mit dem Deutschen Kulturförderpreis ausgezeichnet worden.
Unterdessen berichtete Andreas Böhm beim Fachkräfte-Meeting, dass die erfolgreiche Integration Geflüchteter gelingen kann. Der Geschäftsführer der Plasmanitriertechnik GmbH mit 18 Beschäftigten sei vor anderthalb Jahren mit dem Thema konfrontiert worden. Damals hatte er einen in Rente gehenden Mitarbeiter ersetzen können, dessen Nachfolger riss sich beim Fußball jedoch die Achilles-Sehne und fiel aus. Böhm stand vor einem Dilemma – und stellte schließlich einen jungen Iraker ein, das alles nicht ohne Bedenken seitens der Belegschaft. Doch ausgerechnet jener Kollege mit den größten Vorbehalten sei inzwischen zum „Vati“ geworden und habe den neuen Mitarbeiter „an die Hand genommen“. Dieser Mitarbeiter ist Morteza Ahmadzadeh, ein zufriedener wie selbstbewusst auftretender junger Mann, auch er ist beim Fachkräftemeeting dabei. „Arbeit bedeutet Integration“, sagt er in fließendem Deutsch, „und sie trägt dazu bei, die eigenen Fluchterlebnisse zu verarbeiten.“ Ahmadzadeh habe vor seinem jetzigen Job unzählige Bewerbungen geschrieben, „aber selten eine Antwort bekommen“.
Wie wichtig das Erlernen der Sprache für die Integration ist, weiß kaum jemand besser als Mareike Roeland Toschev. Sie ist die Geschäftsführerin der Inlingua-Sprachschule in Chemnitz - und Ausländerin. Als Niederländerin wollte sie selbst nicht immer nur mit Showmaster Rudi Carrell oder Fernsehmoderation Mareike Amado in Verbindung gebracht werden. Der sprachliche Weg dorthin war offenbar nicht einfach, zumindest wenn er über erforderliche Sprachprüfungen führt. Toschev beklagt zum einen, dass deren Ergebnisse sehr lange auf sich warten lassen. Zum anderen, dass die Anforderungen sehr hoch seien. „Ein Drittel der Zeit in unseren Sprachkursen verbringen wir allein damit, die Leute auf die Prüfung vorzubereiten“, sagt sie. Sie verstehe zwar, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) etwas qualitativ Hochwertiges auf die Beine stellen wollte. „Aber der Bezug zur Realität ist leider nicht immer da.“ Und: Selbst deutsche Muttersprachler würden zum Teil an der Prüfung C1 scheitern, dabei kämen sie vom Studium „Deutsch als Fremdsprache“.
Dass es trotz Hochschulabschluss und guter Sprachkenntnisse beim Jobeinstieg Probleme für Ausländer geben kann, hat Dr. Asma Essa erfahren. Sie ist Ärztin, kommt aus Lybien – und trägt ein Kopftuch. Nicht, weil sie es muss, sondern weil es zu ihrer Identität gehöre, sagte sie beim Fachkräftemeeting. Essa hat sich mit anderen zur „Vereinigung kopftuchtragenden Frauen“ zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie „eine Brücke bauen zwischen uns und der Gesellschaft. Wir haben aber Angst, dass wir nicht angenommen werden.“ Auch mit Kopftuch können sie gute Nachbarn und fleißige Mitarbeiter sein, so Essa. Sie hofft, dass das Kopftuch in ein paar Jahren kein Thema mehr ist.
Industrievereins-Präsident Bechtloff appellierte, „dass wir uns alle ein Stück bewegen müssen“ und die Gesellschaft an vielen Stellen toleranter werden sollte. Ein Kopftuch sei nur ein äußeres Zeichen, „viel wichtiger ist das, was drunter steckt.“ (Text: Anja Köhler)
Ort: Sachsen Guss GmbH